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​"Moers als guten Ort behaupten...“

Ein Gespräch mit Tim Isfort

Moers, 10.06.2020
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Kurt Rade, Stefan Pieper

Tim Isfort hat Ende 2016 die künstlerische Leitung des mœrs festival unternommen. Dass jede Festivalausabe ihr ganz individuelles Gepräge bekommt, gelang auch mit dieser jüngsten Ausgabe erfolgreich– wenn auch eher unfreiwillig. Auch unter widrigen Bedingungen lebt der Wille, das beste draus zu machen. Ein Gespräch am Montagnachmittag in der Moerser Eishalle....

Inszenieren“ Du und dein Team ganz bewusst jede Festival-Ausgabe?

Ja, es macht uns Spaß, Dinge zu inszenieren. Oft liegt die Herausforderung in der Balance. Es geht darum, dass nicht plötzlich das Bild über die Musik gewinnt. Da hatte ich in diesem Jahr mit den Aktionen von Miss Unimoers eine gewisse Sorge. Schnell guckt man nur noch auf das Bild - dabei ist es doch ein Musikfestival.

Miss Unimoers“ hat aber doch bei allen skurillen Aktionen sehr sensibel auf die jeweilige Musik reagiert.

Ich fand zum Beispiel großartig, wie er auf dem Hometrainer strampelt und damit das fließende Spiel von Jonas Burgwinkel weitererzählt. Oder die Melancholie, als er bei „Evil Nigger“ die Enten füttert. Matthias Heße, der die Miss Unimoers spielt, kenne ich vom Schlosstheater sehr gut. Er hat ein Super-Timing und einen großen Humor, zugleich sehr viel Melancholie. Er ist ja selbst ja Musiker mit Postpunk-Vergangenheit. Das passt wiederum zu meinem eigenen musikalischen Background: Ich komme ja auch ursprünglich von Bands wie „The Who“ und den „Undertones“. Ornette Coleman kam erst später.

Welchen persönlichen Bezug hast Du zum Theater?

Ich habe viele Theatermusiken gemacht und einen engen Bezug zum Moerser Schlosstheater, wo es erfreulich experimentell zugeht. Moers ist ein gutes Beispiel, dass man nicht weit rausgehen muss, um tolle Programme zu erleben.

Hast du konkrete Bilder im Kopf bei der Planung eines Festivals?

Eigentlich habe ich nur ein altes Bild von Moers im Kopf. Geprägt hat mich natürlich meine eigene Sturm-und-Drang-Phase zwischen 16 bis Anfang 20, wo man einfach alles aufsaugt. Ich höre immer noch die alten Kassetten von den frühen Festivals rauf und runter.

Was bedeutet das für die Arbeit in der Gegenwart?

Ich gehe immer von der Frage aus: Was war die ursprüngliche Absicht vom mœrs festival? Ich habe mich viel mit den Gründern unterhalten in den letzten Jahren. Moers ist ein Musikfestival, bei dem es in erster Linie vielleicht nicht um die Musik geht. Musik war immer ein Medium, um ein Lebensgefühl zu hinterfragen, um gesellschaftlich und politisch etwas zu sagen. Das hat Moers über viele Jahrzehnte immer aufs Neue geschafft. Es soll nicht nur darum gehen, sich hier mit alten Kumpels zu treffen und den ewigen Ikonen zuzujubeln. Es gibt eine andere Ebene dahinter, nämlich Moers als guten Ort zu behaupten.

Dass hier jetzt alle mit Masken rumlaufen, könnte ja auch Teil einer etwas abgedrehten Inszenierung sein....

Wir hatten diese 49. Festival ganz anders geplant, es sollte als „Vorabend“ zum 50. konzipiert sein. Jetzt ist das 49. Festival auf ganz andere Weise zu etwas Entscheidendem geworden.

Was war entscheidend?

Moers hat für mich immer mit Unterwandern zu tun. Aber nicht im Sinne des Hofnarren, der dem König einen Spiegel vorhält. Wenn wir Jazzinfektionsmittelspender aus HiHat-Maschinen bauen, ist das ein augenzwinkernder Umgang mit der Gegenwart und Teil einer großen Inszenierung.

Mit welcher Intention?

Es geht ums Spiel mit Erwartungshaltungen. Wir haben Leute vor den Kopf gestoßen, die erwarteten, es geht alles immer so weiter. Viel lieber stellen wir das Publikum vor Entscheidungen. Die sollen sich ruhig mal aufs Fahrrad schwingen und in die Stadt fahren und mit Provokationen klarkommen. 2018 hatten wir die „Fake-Bands“, auf die auch manche Musikjournalisten reingefallen sind. Wir wollen ja auch den Hochkulturbetrieb etwas hinterfragen. Aktuell wollen wir dem bösen C-Wort, das die ganze Welt beherrscht, etwas entgegen setzen. Denn mit dieser aktuellen Realität wollen wir umgehen und deswegen ist jetzt auch so eine krasse Durchführungsform heraus gekommen. Wir hatten ja drei Alternativen: Entweder absagen oder verschieben, was kaum ein Unterschied ist, oder eben alternative Wege finden. Wir haben uns letzteres zu Herzen genommen!

Wie seit ihr mit den ganzen aktuellen Behörden-Regularien klar gekommen?

Diese zwangen uns ständig zum Improvisieren und haben viele Projekte platzen lassen. Wir hatten zum Beispiel schon seit anderthalb Jahren eine Aufführung mit dem ChorWerk Ruhr geplant. In allerletzter Minute kam eine Absage mit der Begründung, es gebe keinen Versicherungsschutz bei öffentlichen Chören. Auf unserer Suche nach Ersatz haben wir auch hier die ganze in Deutschland lebende Musikszene umgekrempelt. Das Vokalsextett „Sjaella“ erwies sich dann als Glücksfall, auch wirkte dieses Gesangskonzert wie ein luftig-leichtes Statement gegen die erdrückenden Corona-Verordnungen. Es sind wirklich die verrücktesten Regularien wie Pilze aus dem Boden geschossen. Es werden Quadratmeter-Zonen für einzelne Musiker vorgegeben. In die Festivalhalle dürften zum Beispiel demnach nur maximal 12 Bläser rein. Dabei haben neueste Studien gezeigt, dass vorne aus einer Trompete außer Schallwellen definitiv nichts heraus kommt. Ich persönlich denke, zwischen Panik und Fahrlässigkeit liegt die Vernunft irgendwo in der Mitte.

Mal was zum Programm: Seit Du das Festival kuratierst, sind die regionalen Szene aus NRW, aber auch aus Berlin deutlich vielschichtiger im Hauptprogramm präsentiert. Ist das die logische Konsequenz, weil Du dich auch als Teil dieser Szene fühlst oder stand eine bewusste Entscheidung dahinter?

Auf jeden Fall beides. In diesem Jahr haben wir das beste aus einer extremen Situation heraus geschaffen. Es ist traurig, dass etwa zwei Drittel aller internationalen Projekte wie Luftballons zerplatzten. Aber wir haben guten Ersatz geschaffen.Wir sind unter anderem dankbar für vielen Fördergeber und Stiftungen, die sich mit dem Nachwuchs in NRW auseinander setzen, etwa die Richard-Dörken Stiftung, die das junge Quartett „Bört“ nach Moers geschickt hat. Die Saxofonistin Theresia Philipp ist bei den Sessions später nochmal richtig über sich hinaus gewachsen. Moers soll ja eine Plattform für Leute sein, die nicht erst die ganze Karriereleiter durchschreiten müssen und etwa als Sidemen oder -women bei großem Namen spielen müssen. Lieber hier ins kalte Wasser springen! Das haben die Leute in den 1970ern auch nicht anders gemacht. Das ist umso wichtiger, wo sich der ganze Genre-Baum heute immer weiter verästelt. Einige besonders spannende Konzerte hatten wir gerade erst vor zwei Wochen gebucht.

Fast alle Ehrenkonzerte für das „Beethoven-Jahr“ sind ja weltweit geplatzt. Ihr habt den Jubilar nun auf einsamer Front rehabilitiert. Wolltet ihr bewusst diese Lücke füllen?

Eigentlich wollten wir gar nichts zu diesem Thema machen, weil es überall stattfinden würde. Aber dann kamen doch Ideen zu diesem Thema. Jan Klare hat Beethovens Fünfte auseinander genommen - das passt natürlich perfekt zu Moers. Aber wir wollten dem auch etwas Puristisches entgegen setzen. Also haben wir das Wiener Auner Quartett eingeladen und wünschten uns eines der späten Beethoven-Quartette. Dieser „Heilige Dankgesang“ aus op. 132 ist zu einem echten Statement geworden. Im Gegensatz dazu nahm Wolfgang Mitterer zusammen mit Wolfang Puschnig eine sehr aktuelle, forschende Perspektive auf Beethovens Musik ein.

Wie definierst Du das übergreifende Kriterium bei den extrem unterschiedlichen musikalischen Ansätzen in Moers?

Es geht um das Gespür, tiefer gehende Stimmungen abseits des Mainstream zu erzeugen. Wir entscheiden demokratisch, ob etwas in den dramaturgischen Bogen passt. Und wägen vor allem ab, ob da ein Statement hinter steht.

Was hast Du in diesem Jahr am meisten vermisst?

Wir alle haben dieses unvergleichliche „Draußen-Moers-Gefühl“ rund um die volle Halle vermisst. Ich bin hier in Moers mit diesem Festival aufgewachsen und seit den 1980er Jahren jedes Jahr hier. Ich hatte dieses Jahr schon am Freitagabend das Gefühl, es könnte Montagabend sein. Andererseits hatte ich in diesem Jahr etwas mehr Ruhe. Meine ersten drei Jahre als Festivalleiter waren ja schon sehr stressig, weil ich ständig mit dem Fahrrad unterwegs war und an allen Spielorten Flagge zeigen wollte.

Besonders schade ist es in diesem Jahr um die vielen internationalen Projekte. Viele Reisen konnten nicht stattfinden. Wir waren in Addis Abeba und haben dort ein Riesenprojekt angeleiert, um einen ausgewachsenen äthiopischen Schwerpunkt zu präsentieren. Aber die äthiopischen MusikerInnen wollten eine Reise nach Deutschland mit seinen vielen Corona-Infizierten nicht riskieren. Dafür freue ich mich, dass wenigstens die Duo-Begegnung von Laia Genç mit dem burmesischen Virtuosen Hein Tint gerettet werden konnte.

Moers ist ja viel mehr als nur Musik. Es ist eine Stimmung, ein Fixpunkt im Jahr...

Deswegen haben wir versucht, nach außen hin möglichst viele Zeichen zu setzen, mit Dingen, die immer da sind! Also sind auch diesmal die Pianomobile rausgefahren. Im Park gab es vereinzelt Versammelte zu spontanen Darbietungen. Viele Musiker haben draußen auf ihrem Weg durch den Park einfach ihr Horn ausgepackt und gespielt, mit viel Abstand wohlgemerkt.

Hat es nicht etwas Tragisches, dass dies für viele im Moment die einzige Art ist, sich Gehör zu verschaffen?

Es ist ein schmaler Grat zwischen Ausverkauf und sich verschenken. Das ganze Rumgestreame finde ich ziemlich inflationär. Aber wir müssen doch zeigen, dass wir da sind und dass wir wichtig sind. Die Situation ist insgesamt schon sehr verzweifelt. Andere Kollegen schweigen einfach und nehmen ihr Recht wahr, beleidigt zu sein. Auch das kann ein Weg sein, eben weil wir als Zunft nicht wert geschätzt werden. Manche halten jetzt die Luft an, bis sie wieder gebraucht werden.

Habt ihr manchmal Zweifel gehabt, das Festival so zu realisieren?

Der Weg hierhin war nicht so einfach. Wir haben oft gehadert und gefragt, ist es richtig, was wir hier tun. Wir können niemanden retten. Wir wissen, wir machen nur einen Tropfen auf den heißen Stein und können die ganzen Musiker und Zuliefererbranchen sowieso nicht retten. Es bleibt die Frage, was nach der Krise übrig bleibt.

Wie sieht die Zukunft aus?

Was mich wirklich umtreibt, ist die Frage: Wie geht es für MusikerInnen und VeranstalterInnen weiter? Wie sieht die Welt in einem halben Jahr aus? Zwangsläufig versuchen wir, viele Sachen auf 2021 zu verschieben. Aber in den letzten acht Wochen hatten wir keine Zeit, über dieses Festival hinaus zu denken.

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