Zuhause!

Schaut man sich beim Konzert von John Scofield, feat. Vicente Archer (b), Jon Cowherd (p, key) & Josh Dion (dr) im Ebertbad in Oberhausen um, begegnet einem der eine oder andere Wiedergänger Scofields. Ein das Kinn verlängernder, ergrauter Spitzbart, der Kopf gekrönt von einem Road Cap. Man weiß, was man seit Jahrzehnten aneinander hat.

Das Ebertbad, 1894/95 als Badeanstalt am Neumarkt als Volksbadeanstalt eröffnet, diente in den Anfangsjahren hygienischen Zwecken, als nur wenige Wohnungen über ein eigenes Bad verfügten. Es schließt Anfang der 1980er Jahre als Hallenbad. Wenige Jahre später (seit 1986 unter Denkmalschutz gestellt), vom Architekten Werner Ruhnau, bekannt durch den Bau des Musiktheaters im Revier in Gelsenkirchen, umgebaut, entwickelt sich das Ebertbad zu einer überregional bekannten Veranstaltungsstätte. Seit einigen Jahren setzen die Macher des Hauses um Tobias Voss auch auf hochkarätig besetzte Jazzkonzerte.

Dass Scofield auf seiner aktuellen Tournee in Oberhausen Station macht, bevor er anschließend nach zwei Konzerten in London ausschließlich in Amerika auftreten wird, spricht für das gewachsene Jazz-Renommee des Ebertbads.

Straight Ahead im Scofield-Soundkosmos

Das Konzert lässt keine Zweifel aufkommen. Straight ahead im Scofield-Soundkosmos, grundsolide präzis, präsent ohne innovative Experimente. Einzelne Ausflüge ins improvisatorisch Offene, wenn beispielsweise Scofield bei einem Latin-Funk-Song überraschend vom Blatt spielt, gemeindet er den Sound souverän schnell wieder ein. Zu hören sind Titel von ihrer 2022 veröffentlichen CD Yankee go Home. Stücke von so unterschiedlichen Komponisten, respektive Singer-Song-Writer wie Neil Young (Old Man), Leonard Bernstein (Somewhere) oder das enigmatische A Love Supreme von John Coltrane reihen wie auf einer Perlenschnur kaleidoskopisch Scofield himself: Dass ist der Sound, den wir als Yankees als die Musik unserer Heimat aufgreifen. Nichts weniger, als Americana-/Rock-Hits und Jazz-Folk-Songs sowie Scofield- Originale zu covern.

Yankee go Home schließt aktuell mit der bei ECM 2023 erschienen CD Uncle John‘s Band soundfarbig kurz. Der Bassist Vicente Archer fungiert auf beiden CDs wie im Oberhausener Konzert als kreativer Scofield-Transformer. Archers Bass wellt zumeist die Songs poetisch auf. Großzügige wie großmächtige Grooves schillern in melodisch sinnfälligen Akkorden.

So wie Scofield einzelne Passagen seines für ihn typischen Gitarrenspiels erkennbar ein- und ausatmet, akzentuiert der Rock inspirierte Drummer Dion mit kraftvollem Drive. Scofield verliert dabei nie den Blick (und das Ohr) für seine Mitspieler. Er integriert sie interaktiv kreativ in den Sound, gibt ihnen solistische Freiheiten, so wie mit Dions finalem Schlagzeugfeuerwerk als auch in seinem Duo-Spiel mit Archer sowie Scofields weite Bögen aufreißenden Dialog mit dem ihm besonders vertrauten Bassisten.

Immer wieder wärmt das Spiel funky die Seele der Oberhausener Scofield-Community. Insbesondere dann, wenn Cowherd, vom Flügel zum Keyboard wechselnd, den Sound in die Höhe zieht. Durch alle Sets zieht sich eine emotionale Resonanz. Scofields Gitarrenspiel entfaltet dabei eine halluzinatorische bis magische Klangklarheit. Von Dions Drumming umstandslos vorwärts getrieben, von Archer sanft, gleichwohl nachhaltig kommentiert, bindet Cowherd das Song-Material kraftvoll ein.

Große Begeisterung in Oberhausen, wo man offensichtlich zu schätzen weiß, wie man einem Hero den Hof bereitet.

Peter E. Rytz