Düsseldorf, 01.03.2023 | Von der italienischen Passegiata (Spaziergang) zur brasilianischen Passadinha ist es nicht weit, wenn man wie Elsa Johanna Mohr oft über den Atlantik hin und hergeflogen ist. Passadinha hat die Kölner Sängerin und Songwriterin ihr neues Album benannt, das vor kurzem erschienen ist und das sie zusammen mit dem Gitarristen Flavio Nunes in einem Releasekonzert in Düsseldorf vorstellte.
Johannas Eltern Andrea Mohr und Bertolt Mohr sind bildende KünstlerInnen und haben erst vor zwei Tagen eine Ausstellung im Haus Spiess in Erkelenz eröffnet. ‚Passegiata‘ heißt die Aussstellung und nicht zufällig war auch Johanna an der Vernissage beteiligt.
Es ist schon eine ganz besondere Atmosphäre in diesem Künstler-Atelier, in dem viele Materialien lagern, auch auch einige kunstvolle Gemälde an den Wänden hängen. Das Publikum, ca. 70 Leute, sitzt auf Bänken in gleicher Höhe direkt vor den beiden Künstlern. In dieser Nähe und Unmittelbarkeit, bei der man auch die geringsten Veränderungen in Mimik und Gestik wahrnimmt, hört man die Musik viel intensiver. Johanna stellt zusammen mit dem Gitarristen Flávio Nunes ihr neues Album vor. Ich konnte schon vor dem Konzert mit beiden sprechen und dabei einige interessante Details erfahren.
Johanna hat als Austauschschülerin ein Jahr in Brasilien verbracht und begeisterte sich dort ür die brasilianische Mentalität und Kultur. Sie studierte später portugiesische und brasilianische Literatur in München, dann Jazzgesang in Osnabrück; zwischendurch zog es sie aber immer wieder nach Brasilien. Sie gehört auch zum Quartett ANTIGUA und zum Vocal Trio LUAH, das 2019 das Publikumsvoting beim JazzTube-Festival gewann.
Flávio Nunes kommt aus São Paulo. Er hat in Paraná Gitarre und Musikpädagogik studiert und lebt seit vier Jahren in Deutschland. Über eine Anfrage über das Internet hat er den Weg zu Johanna gefunden. Musikalisch ist er zu Hause im Samba, Choro und Bossa Nova, aber auch im Blues, Reggae und Jazz Manouche. Er spielt auf der E Gitarre, auf der Cavaquinho und auf der traditionellen sieben-saitigen Gitarre - einer Akustikgitarre, die vor allem bei Choro und Samba verwendet wird. Im Moment arbeitet er auch an der Düsseldorfer Musikschule mit Kindern. (s.Video unten, in dem er in 4 Minuten den Samba erklärt)
„Deixo, deixo, deixo te contar a minha historia
dessa lingua que rola, bola, esfola na memoria“
(Lass mich dir meine Geschichte erzählen)
von dieser Sprache, die rollt, die sich dreht und sich im Gedächtnis einnistet)
Mit diesem geradezu programmatischen Song beginnt das Konzert. Auch wenn wohl nicht alle den Text verstehen, ist man doch sofort mitten drin in der Welt der brasilianischen Musik. Das liegt neben der Melodik sicher auch an der portugiesischen Sprache, die mit ihren Vokalen und Nasalen - ganz anders als das harte Spanisch – weich und gefühlvoll klingt.
Johanna präsentiert heute vier eigene Stücke. Die auch auf der neuen CD zu hören sind. Der Titelsong Passadinha gehört dazu. Die Zeitschrift Jazzthing hat Johanna die „rheinische Brasilianerin“ genannt, das zeigt sich auch hier. Es ist wirklich erstaunlich, wie brasilianisch ihre Kompositionen klingen.
Casuleira hat mir beim ersten Hören der CD nicht so gut gefallen. Hier im Studio kommt das Stück aber ganz anders rüber. Johanna ist hier solo und spielt selbst Gitarre, setzt dann den LOOPER ein, um sich selbst zu begleiten. Das scheint im Moment ein ‚must have‘ vieler Musiker zu sein, doch wozu hier, wenn man so einen begnadeten Gitarristen wie Flávio neben sich sitzen hat? Bei Loop infinito geht es um einen Verehrer, der zu einem nervigen Stalker wurde. Sehr interessant, ein Blues mit brasilianischem Flair.
Mit vielen Stücken bekannter brasilianischen Musiker gibt Johanna einen Einblick in die brasilianische Musikgeschichte. Bossa Nova ist da nur ein Stil von vielen. Gilberto Gil und Baden Powell kennt man auch in Europa. Von ihnen hören wir Fechado pra balanco bzw. Berimbau. Hier spielt Flavio auf der Berimbau, einem Instrument, das auf der afrikanischen Kalebasse basiert, wie beide anschaulich demonstrieren.
Johanna erzählt viele Geschichten zu den Stücken, z. B. zu dem Choro Tico Tico no Fubá von Zequinha de Abreu, bei dem es darum geht, einen Vogel vom Fressen von Maismehl abzuhalten. Auch hier brilliert Flávio besonders bei der dritten Strophe, zu der es keinen Text gibt, wobei der Tanz-Charakter des Choro besonders deutlich wird und der sich wie ein Solo anhört.
Flávios Spiel auf den Saiteninstrumten ist wirklich umwerfend. Er begleitet Johanna bei den komplexesten Rhythmen, als ob es nichts wäre, und hält unbeirrt die Basslines durch. Was dieses Konzert von der CD vor allem unterscheidet sind seine hochvirtuosen Soli. Warum ist da auf der CD kaum etwas von zu hören?
Mit Nem um Día von Djavan begegnen wir einem neueren Star brasilianischer Musik. Danca da solidao (Tanz der Einsamkeit) von Paulinho da Viola (1972) hat mich melodisch an einen klassischen Tango erinnert. Bei Meu piao von Ze do Norte aus den 50er Jahren geht es um einen Kreisel. Hier wird besonders das rhythmische Talent von Johanna deutlich. Scatten, Vocalisen, Fingerschnipsen, alles kann sie und sie setzt es ein, um die besondere Rhythmik dieses Liedes zu unterstreichen.
Bei Tempo de Amor von Baden Powell fühle ich mich an Paula Morelenbaum erinnert, die das Stück schon 2009 auf bossarenova mit der SWR Big Band aufgenommen hat. Johannas und Paulas Stimmen sind ähnlich, nur singt Johanna den Text akzentuierter. Ihr Stimmvolumen, aber auch ihre Gesangstechnik, mit der sie mühelos mal die Oktaven wechselt, sind beeindruckend.
A menina danca von Moraes Moreira gefällt mir besonders gut, es war in den 80ern ein großer Erfolg der Novos Baianos. Der Schwung und die Lebensfreude dieser ‚menhina‘ (Mädchen) kommt gut rüber. Carinhoso ist Flávios Lieblingsstück, erzählt er mir. Es stammt von Pixinguinha, einem brasilianischen Musiker, Sänger und Komponisten, der schon vor 60 Jahren gestorben ist. Viele seiner 600 Choros werden noch heute gespielt.
So quero von Dal Lilito Tom ist ein kurzer schöner Abschluss. Doch das Ritual von Abgang und Wiederauftritt ist im engen Atelier nicht möglich, aber wozu auch? Als Zugabe hören wir Madalena, das Elis Regina bekannt gemacht hat. Von Johanna angeleitet singt das Publikum mit: Mada – Madale – Madaleena.
Zu Konzerten in so einer Location hat man nur selten Zugang. Vielen Dank an die Familie Mohr und an Flávio für dieses beeindruckende Konzert.
Die CD Passadinha wurde in der 96. Folge der„Jazz thing Next Generation“promotet. Zu Recht, denn Johanna Mohr und Flávio verdienen es wirklich gefördert und bekannt gemacht zu werden.
https://www.elsajohannamohr.de
Elsa Johanna Mohr, Flávio Nunes - Passadinha
Label: Double Moon, 2022
Bestellnummer: 11106108
Erscheinungstermin: 27.1.2023
Was ist Samba? Eine kurze Erklärung von Flávio Nunes
nächste Konzerte in NRW:
2.3.23 LOFT Köln - Quartett Elsa & Flávio
8.5.23 Modigliani Düsseldorf - Duo Elsa & Flávio
06.05. Jazzclub Darmstadt, 20:30 Uhr, Mauerstraße 17 Darmstadt
08.05. Modigliani, Düsseldorf, 19:00 Uhr, Wissmannstraße 6